Spiritualität und Religion
Bäume brauchen keine Spiritualität, Tiere auch nicht. Das ganze Universum pulst und ist in Bewegung, es tönt und leuchtet, es schwingt - aber es ist nicht fromm. Es hat kein höheres Gegenüber - es ist, es wird, es entfaltet sich und schließt sich vielleicht auch wieder wie eine Blüte am Abend. Der Mensch ist das einzige Wesen, das Spiritualität und Religion lebt.
Warum? Weil er sich als geistiges Wesen entwickelt hat. Wir sind das 'animal rationale', das Tier, das gelernt hat, rational vorzugehen, zu überlegen, bevor man handelt. Wir sind uns dadurch auch unserer selbst bewusst geworden. Das hat uns unglaubliche Möglichkeiten verschafft: wir bewohnen und beherrschen heute fast die ganze Erde. Aber wir merken auch, wie destruktiv unsere Macht ist und wie wir uns zurücksehnen nach einer Einheit mit der Natur oder gar der Gottheit. Wir fühlen uns nicht nur wohl in unserer Freiheit, Bewusstheit und unseren Möglichkeiten.
'Spiritualität' scheint ein guter Weg zu sein, dies anzunehmen und uns weiterzuentwickeln. Wir wenden den Geist nicht nur technisch-praktisch an, sondern gehen den anstrengenden Weg der Bewusstwerdung, innerer und äußerer Heilung und Reifung zu mehr Menschlichkeit.
Wo immer so ein geistiger Aufbruch geschehen ist, hat man versucht, dies festzuhalten, festzuschreiben und weiterzugeben. So entstehen 'Religionen'. Sie wollen die Flamme hüten, aber sie sitzen schneller vor der Asche, als ihnen lieb ist. Deshalb erzählt man die alten Geschichten immer und immer wieder - und droht dabei manchmal die Geschichte aus dem Auge zu verlieren, die sich in der Gegenwart gerade abspielt. Man sucht immer noch in den heiligen Schriften, ob Frauen Priesterinnen sein können - dabei sind sie es schon längt wieder geworden. Man predigt erbaulich über Noah, die Arche und die Sintflut - und merkt gar nicht, dass sich die nächste Sintflut schon ankündigt.
Die geistige Welt ist ein Abenteuer für sich. Man kann dort vieles erfahren und vieles finden, ob man betet oder meditiert, ob man innerlich bewusst reist oder schamanisch in der Trance, ob man Rückführungen macht oder Aufstellungen, ob man magisch oder energetisch arbeitet, ob mit Intuition oder Divination. Aber sie ist auch eine Versuchung und hat ihre Gefahren und Abgründe: Manipulation, Hochmut, Profitgier, Abhängigkeiten, Vernachlässigung der Erdung. Gut, wenn man Menschen hat, die einen begleiten und spiegeln können.
Wir sind heute in der außergewöhnlichen Situation, dass uns vieles offen steht: schamanische Wege, meditative Praktiken, Religionen, die Weisheit der Völker. In unserer globalisierten Welt stehen die Türen überall weit offen. Diese Chance sollten wir nutzen - bevor wieder Leute auf die Idee kommen, zur reinen alten Lehre zurückzukehren, wo man nicht nachdenken und keine Entscheidungen zu treffen braucht.
Wie wäre es,
wenn Herzlichkeit unsere Religion wäre,
Stille unser Tempel,
das tägliche Leben unsere Übung,
die Erde unsere Heimat,
die Wälder unsere Kirchen,
die Flüsse, Seen und Meere das heilige Wasser,
unsere Beziehungen Übungsfeld unserer Achtsamkeit,
das Leben unser Lehrer,
die Weisheit unser Wissen,
die Liebe Mitte unseres Lebens?
(nach Ganga White)
Wir nennen uns ...
Wir nennen uns Buddhisten
und sind noch nicht erwacht.
Wir nennen uns Muslime,
die Frieden nie gemacht.
Wir nennen uns gern Christen
und sind kein Licht der Welt.
Wir wären gerne Menschen,
doch knien vor Macht und Geld.
Wir suchen alte Stätten,
doch haben wenig Zeit
Wir geh'n in die Natur,
und unser Geist, der eilt
Kein Buddha wird uns helfen,
kein Jesus und kein Gott,
wenn wir nicht Schritte wagen,
verlassen uns'ren Trott.
Noch nie
Noch nie hat es so gut
geschmeckt,
im Augenblick war es
erfüllt:
der Apfel hat mich
aufgeweckt,
das Paradies mir heut‘
enthüllt
Was für ein Baum! Was für ein
Wesen!
Du stehst hier viele hundert
Jahr’
Für den Moment bin ich
genesen,
als ich in Ehrfurcht bei Dir
war
Noch nie hab ich ihn so gehört,
noch nie hat er mich so
berührt
Der Vogel sang so
ungestört
und hat mich lange noch
entführt
Nachtigall wal_172619 - Pixabay
Noch nie hatt’ ich Dich je geseh’n,
war unterwegs mal ohne Ziel,
da war’s im Augen-blick gescheh’n
Mein Herz hielt lange nicht mehr still
Es war noch nie so still in mir,
so friedvoll und so ganz bereit
Die Stürme haben sich gelegt,
das Meer war sanft, unendlich weit
Wherever you will go
Whatever you will know
Whatever you will gain
Whatever you will complain
Whatever you will see
Wherever you will be
Whoever you will meet:
The way is always under your feet
Die Himmel und die Welten,
man fragt sich, was sie gelten?
Was könnte man erleben?
Könnt' man in Höhen schweben?
Gibt's Götter, Paradiese,
'ne bess're Welt als diese?
Gibt's Tiefen und die Sphären,
wo wir auch gern mal wären?
Was wir niemals vernehmen,
die Schwingungen und Schemen:
es ist doch alles mit uns da,
zugleich ganz fern und doch ganz nah
Impulse
Setz dich wieder auf den Boden
Schwimm in einem kleinen See
Schau zur Nacht die Sterne droben
Sieh des Tags, was in der Näh'
Streife wieder durch die Wälder
Steig auf einen kleinen Berg
Gehe über leere Felder
Mut dir zu ein kleines Werk
Bete wieder wie die Alten
Bitt' den Ahn', die Himmelswelt,
dass das Beste wir entfalten
und das Dunkel sich erhellt
Die Macht des Mythos
Ein Mär-chen, das mag jeder hören,
doch eine Mär, die kann auch stören
'Vom Himmel hoch' kam eine her,
gesungen leicht - doch mächtig schwer
bedrückte sie die Menschheit eben:
sie würde schlecht und sündig leben
mit falschen Göttern, falschem Glauben
Ein jeder würde lügen, rauben
Nur dieser Gott, der könnte retten
und sie befreien von den Ketten,
mit blut’gem Opfer, wie man hört.
Das hat manch Gutes uns beschert:
Die Liebe wurd' als Weg erkannt,
der Rachegeist, der wurd gebannt
Doch mit Gewalt wollt' man zum Friede,
verging sich am Gebot der Liebe
Das Christuslicht kann weiter scheinen,
kann heilen und ganz klar verneinen,
kann Brücken bauen und vergeben,
uns helfen, selbst im Licht zu leben
'Mär' war im Mittelhochdeutschen die Erzählung, Kunde: 'das war aber eine erbauliche Mär!' Das Mär-chen ist seine Verkleinerungsform: die kleine Geschichte, die kleine Kunde. Beides kann wertgeschätzt gemeint sein - oder kritisch: 'das war ein märchenhafter Tag!' - 'Erzähl mir keine Märchen!'
Spiritualität kann man an manchen Orten intensiver erfahren und leben als an anderen - warum auch immer
Das Gebet
Ich hab ein kleines Weltenhaus
mit Räucherwerk und Kerzen
Da leg ich meine Bitten rein,
den Dank und auch die Schmerzen
Die kleinen Zettel mehren sich
in sehr bewegten Zeiten
Doch Pflanzen grünen immer dort
bei allen Schwierigkeiten
Das Haus ist offen, steht bei mir
am stillen Ort der Kräfte
Die Gottheit, sie wohnt überall
und feine hohe Mächte
Ein nach altchinesischem Vorbild getöpfertes Mondhaus mit dem Seelenvogel auf dem Dach (H.C.Heim)
Magie - oder das Wirken im Geist
'Das ist ein magischer Ort!' 'Sie zog ihn magisch an' - wir gebrauchen das Wort heute ganz gern wieder, aber verstehen noch nicht ganz, was es eigentlich meint.
Magie ist eine Fähigkeit, die wir ansatzweise alle haben: geistig zu handeln und dadurch etwas zu erreichen. Das macht der Handwerker, der Techniker, der Künstler, der Sportler - das geschieht auch im Alltag. Wir denken etwas - und setzen es um.
Die Magie im engeren Sinn läßt die Hände weg: man sagt sich auf dem Krankenbett: ich w e r d' wieder gesund! - und glaubt daran. Man sagt einem niedergedrückten Mitmenschen: 'D u schaffst das!' - und gibt ihm einen Vertrauensvorschuss. Die Erfahrung zeigt, dass der Geist auch so wirken kann. Wenn Jesus sagt, dass der Glaube Berge versetzen kann, dann ist eben das gemeint: dein Geist, wenn er all seine Kraft auf den Punkt gesammelt hat, so klein und konzentriert ist wie ein Senfkorn, kann Dinge bewirken, die keiner für möglich hält. Dass das geht, hat er selbst seinen Schülern und Mitmenschen gezeigt. Aber sie ist natürlich ein Weg - und ein Bewusstwerden. Wir hatten als Kinder alle diese 'magische Phase', die uns aber auch gezeigt hat, dass ein Auto einfach weiterfährt, selbst wenn wir noch so stark daran denken, dass es stehen bleiben soll.
'Magie' ist nichts Böses, man hat sie verteufelt, weil man nicht mehr erkannt hat, was sie ist. Sie ist das Wirken des Geistes. Es kann zum Guten eingesetzt werden, aber auch zum Bösen. Auch Tyrannen glauben an sich, auch Liebeszauber kann u.U. einen Menschen von sich abbringen, auch Schadzauber ist nicht immer unwirksam - je nachdem.
In alter Zeit, als man noch keine hochentwickelte Technik, keine Krankenhäuser und vieles andere
hatte, wusste man oft nichts anderes als das bittende Gebet oder eine magische Formel. Auch - und besonders - die Kriege wurden bis in unsere Zeit auch mit Hilfe religiöser und magischer Kräfte
geführt (s. z.B. 2. Könige 6). So sind uns aus dem 9. Jahrhundert in einer christlichen Handschrift zwei alte vorchristliche Texte in althochdeutscher Sprache überliefert. Sie gelten nicht der
Vernichtung des Feindes, sondern der Befreiung von (Kriegs-) Gefangenen und der Heilung des gebrochenen Fußes eines Pferdes.
Der erste sog. ‚Merseburger Zauberspruch‘ ist sprachlich sehr eindrücklich und wendet sich an die ‚Idisen‘, an hohe weibliche Geistwesen. Damit könnten Odins Disen gemeint sein, die sowohl im Krieg halfen (als ‚Walküren‘) als auch die Schicksalsfäden webten (Nornen).
Eiris sâzun idisi, sâzun hêra duoder.
Einst setzten sich die Idisen, setzten sich hierhin, dorthin
Suma hapt heptidum,
Einige bannten Feinde (hefteten Haft),
suma heri lezidun,
einige hemmten das (feindliche) Heer
suma clûbôdun umbi cuoniouuidi
Einige klaubten an den Fesseln (der Gefangenen)
Insprinc haptbandum, inuar uîgandun!
(Jetzt:) Entspringe den Haftbanden, entfliehe den Feinden!
Wenn man so einen Text heute vertont und singt - wie hier in einer Vertonung des Textes durch die Gruppe Ougenweide aus dem Jahr 1970 - , wird man vielleicht einen anderen Kampf im Sinne haben und andere Arten von Gefangenschaft, die u n s heute hemmen.
Frömmigkeit der Zukunft
Man wird das Wasser
weniger dort schöpfen
wo es steht,
sondern dort,
wo es fließt,
weniger dort,
wo es so vieles mit sich führt,
sondern dort,
wo es sauber ist,
weniger dort,
wo es lauwarm ist,
sondern dort,
wo es erfrischt,
nicht mehr nur dort,
wo viele sind,
sondern auch dort,
wo noch keiner war
Blautopf Blaubeuren
Buchtipp