Natur & Spiritualität Die Liederoase
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HAIKU-WERKSTATT

 

 

 

 

 

 

Auch tausend Steine

hindern den Fluss nicht daran

sein Ziel zu erreichen

 

 

 

Wogen süsser Düfte

empfangen Fröhliche und Beladene

Die wilde Mirabelle

 

 

 

 

 

 

 

Oh die Weide!

Es summt das ganze Haus

im Frühlingsreigen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Den Wildbach hält

niemand auf. Auch die Felsen

stehen ihm Spalier 

 

 

 

 

 

 

 

 

Haikus zu lesen, kann ein Erlebnis sein - Haikus zu schreiben noch mehr. So geben wir an dieser Stelle eine kleine Einführung und laden ein, sich selbst einmal daran zu versuchen, einen lebendigen Moment des Alltags in 3 kurzen Zeilen wiederzugeben. Das macht zwar etwas Mühe, die aber meistens lohnt. 

 

 

 

die welt neu ordnen
beim sortieren der bücher
in meinem regal

 

Heinz Wöllner

 

 

 

 

 

Das Haiku ist die kürzeste Gedichtform und erfreut sich weltweit großer Beliebtheit.  Es beschreibt eine konkrete Situation, die nicht ausformuliert, aber angedeutet wird. Der Leser kann sich selbst in die Situation hineinversetzen, sie ausmalen und erleben. 

 

 

 

 

Kindereisenbahn
Opas Zigarrenstummel
qualmt im Schornstein

 

 

 

Die traditionellen Vorgaben aus der japanischen Dichtkunst sind:

 

Konkretheit

Gegenwart

Kürze  

 

Das konkrete Erleben in der Gegenwart ist tatsächlich die Basis dieser Gedichtform. Allgemeine Weisheiten haben in einem Haiku nichts zu suchen. Die findet man selbst im beschriebenen Detail, wenn man es länger betrachtet.

Der traditionelle Bezug auf die Natur ist für uns nicht entscheidend, wir schöpfen das Gedicht aus unserer Lebenswelt, die auch die S-Bahn ist:

 

 

die Stille
in der Straßenbahn voller Menschen
Montag Morgen

 

Hans-Peter Kraus

 

 

 

 

Da die deutsche Sprache anders aufgebaut ist als die japanische, können wir uns vom alten 5-7-5 Schema lösen und uns auf den Geist des Haiku konzentrieren. Die insgesamt 17 Silben scheinen aber eine sinnvolle Obergrenze auch in unserer Sprache zu sein.

 

Haikus geben ihr Geheimnis manchmal nicht so leicht preis. Es braucht seine Zeit, sich in die Situation einzufühlen und einzudenken, z.B. in einen alten Friseursalon:

 

 

beim alten Herrenfriseur:
die Schere klappert
eine Uhr tickt

 

Hans-Peter Kraus

 

 

Je stärker die Erfahrung, desto kraftvoller kann auch das Gedicht sein:

 

 

arbeitslos …
in meinem Haus

ein Tiger

 

    Heike Gericke

 

 

Schauen wir in die (japanische) Tradition, sehen wir am Beispiel K. Issas (1763-1827)  einen sensiblen, belesenen Mann, der aus armem Hause früh das Elternhaus verlassen hat, auf Wanderschaft ging und seine Erlebnisse in großer Empathie aufzeichnete. In seine Gedichte einzutauchen eröffnet uns nicht nur seine Welt - sie erweitert auch unseren Horizont.

 

 

In vollem Glanze

ruht dort die Morgensonne

auf all den Astern

 

 

 

 

 

Ob Pflaumen blühten,
ob Nachtigallen schlugen
Allein war ich doch

 

 

Ein heller Wintermorgen.
Die Holzkohle ist guter Laune,
knackt und sprüht

 

 

 

 

Er hat den hohen Herrn

vom Pferde steigen lassen –

der Kirschblütenzweig

 

 

 

Das Wichtigste an einem Haiku ist sein Nachhall. Fehlt der, ist das Haiku misslungen. 'Das Haiku dauert einen Atemzug, sein Nachhall ewig'.

 

 

 

Auf dem Seerosenblatt der Frosch
aber was macht er
für ein Gesicht?

 

 

 

 

 

Seid doch unbesorgt.

Auch die Blätter fallen

ohne Murren ab!

 

 

 

 

 

 

Haikus können spirituell sein, aber sie sind in erster Linie der Realität zugewandt:

 

 

 

 

Auf Entenflügel

der zarte Schnee sich häuft;

oh, diese Stille

 

Masaoka Shiki

 

 

 

 

 

Für das eigene Schreiben nehme man ein Erlebnis, ein Motiv, das einen gerade bewegt - und verharre dabei, lasse innerlich aufsteigen, was einem dazu kommt, schreibe es nieder und arbeite daran. 

 

 

 

 

 

'Fake news?'

Da errötet selbst

das Weiße Haus

 

 

 

 

Gefährliche Staatsführer
Auf der Insel Elba

sind noch  drei Plätze frei

 

 

 

 

Viel Freude dabei!

 

 

 

 

 

Kaffeetasse leer
Licht-Schatten-Spiel und Lüftchen
Augenlider zu

 

Marika Stede 

 

 

 

 

 

 

Sieh, unter dem Baum
Auf Suppe und Fischsalat
Kirschblüten sogar!

 

Basho (1644-1694)

 

 

 

 

 

Buchtipp

 

 

 

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