Jesus von Nazareth
Jesus von Nazareth war ein junger Mann in den Zeiten des Kaiser Augustus, der prophetisch das hereinbrechende Gottesreich ankündigte, den Anbruch einer neuen Zeit. Er erläuterte sie in Gleichnissen, er manifestierte sie in Heilungen, er lehrte das Neue seinen Schüler und Schülerinnenund predigte es den Menschen, dei es hören wollten. Er lehrte seine Schüler nicht nur, sondern übertrug ihnen auch seinen Geist, so dass auch sie zu heilen und Segen in die Häuser zu bringen vermochten.
Als er nicht nur bei der jüdischen Priesterschaft, sondern auch bei den römischen Besatzern Argwohn hervorrief, kreuzigte man ihn sicherheitshalber, bevor seine kleine messianische Bewegung noch zu einer politischen Volksbewegung werden konnte. Nach seinem Tode gab es wohl Visionen, in denen seine Schüler von seinem Weiterleben überzeugt wurden. So kam es erst recht zu einer neuen Messiasbewegung, die aber nicht politisch wurde. Sie löste sich schon früh vom Judentum und nahm einen ganz eigenen Weg.
Es war in antiken Zeiten nicht unüblich, Menschen in die göttliche Sphäre zu erheben. In Ägypten war der König immer 'Gottes Sohn'. Auch bei den römischen Kaisern fing man an, diese Apotheose (Vergöttlichung) zu praktizieren. So war der König geschützt, geehrt, er war tabu und konnte regieren. Das hatte man auch in Israel übernommen (Ps 2/7). In Jesus setzte man zur Zeitenwende ebenfalls eine solche Hoffnung, er könnte der erhoffte und prophezeite König (Messias) sein, der Israel erlöst und ein neues Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit heraufführt.
Er hat es so nicht getan. Er hat aber einzelnen Menschen zu einer Heilung und inneren Umkehr verholfen. Aber das reichte, ihn in den Rang eines 'Gottessohnes' zu erheben. Damit war der Grundstein für eine neue Religion gelegt.
Das erhoffte Gottesreich, das die Verhältnisse umkehrt und zu Frieden und Gerechtigkeit führt, ist so nie gekommen. Aber Einzelne konnten das in sich realisieren und trugen die Möglichkeit dazu in alle Welt. Leider ist der friedvolle Weg Jesu nicht erhalten worden, man hat vielmehr mit Ängsten operiert, mit Druck und Drohungen nachgeholfen, damit die Menschen sich bekehrten. Das war ein Erbe des jüdischen Monotheismus Judentums, der nun in eine trinitarische Gestalt aufgefächert wurde.
Das Christusmonogramm aus dem Book of Kells (um 800)
2000 Jahre Christentum haben vieles, was einmal revolutionär war, abgeschliffen und abgenutzt. Deshalb zitieren wir hier primär einige außerkanonische Jesusworte, vor allem aus dem Thomasevangelium (TE), die die Mühlen der Tradition noch nicht zermahlen haben.
Von der Ankunft des Gottesreiches
Seine Jünger sagten zu ihm: Das Königreich, an welchem Tage wird es kommen? Jesus sprach: Es wird nicht kommen, indem man darauf wartet. Man wird nicht sagen: Seht, hier ist es, oder: Seht, dort ist es. Sondern das Königreich des Vaters ist ausgebreitet über die Erde, und die Menschen sehen es nicht.
TE 113
Vom Nicht-Wissen
Das Königreich gleicht einer Frau, die einen Krug voller Mehl trug. Sie ging einen weiten Weg. Der Henkel des Kruges brach, das Mehl verstreute sich hinter ihr auf den Weg. Sie wusste es nicht, sie hatte das Unheil nicht wahrgenommen. Als sie in ihr Haus kam, stellte sie den Krug auf den Boden und fand ihn leer.
TE 97
Von der Blindheit
Zeigt mir den Stein,
den die Bauleute verworfen haben:
Er ist der Eckstein.
TE 66
Von der weisen Wahl
Der Mensch gleicht einem weisen Fischer, der sein Netz ins Meer warf. Er zog es aus dem Meer voll von kleinen Fischen; unter ihnen fand er einen großen, schönen Fisch. Er warf alle kleinen Fische zurück ins Meer und wählte den großen Fisch ohne Bedenken. Wer Ohren hat zu hören, möge hören.
TE 8
Vom Inneren und Äußeren
Trauben werden nicht von Dornensträuchern geerntet, noch werden Feigen von Weißdornsträuchern gepflückt, denn sie geben keine Frucht. Ein guter Mensch bringt Gutes aus seinem Schatz. Ein schlechter Mensch bringt Übles aus seinem schlechten Schatz, der in seinem Herzen ist, und er sagt Schlechtes, denn aus der Überfülle des Herzens bringt er nur das hervor.
TE 45
Von der Kraft des Guten
Das Königreich des Vaters gleicht einer Frau. Sie nahm ein wenig Sauerteig, arbeitete ihn in den Teig und machte große Brote davon. Wer Ohren hat, möge hören.
TE 96
Von den Hütern der Religion
Wehe den Pharisäern, denn sie gleichen einem Hund, der im Futtertrog der Rinder schläft; denn weder frißt er, noch läßt er die Rinder fressen. Ihr aber seid klug wie Schlangen und rein wie Tauben.
TE 102,39
Von Verbindlichkeit und Freiheit
Als Jesus am Sabbat einen Mann eine Arbeit verrichten sah, sagte er zu ihm: Mensch, wenn Du weißt, was Du tust, bist Du selig! Wenn Du es aber nicht weißt, bist Du verflucht und ein Übertreter des Gesetzes.
Cod. D nach Lk 6/4
Von der Dunkelheit
Wenn ein Blinder einen Blinden führt,
werden beide in eine Grube fallen.
TE 34
Vom Umgang
Geht so mit den Menschen um,
wie ihr selbst behandelt werden möchtet.
Darin besteht das ganze Gesetz und die Propheten.
Mt 7/12
Von den Höhen
Eine Stadt, die auf einem hohen Berge erbaut und befestigt wurde, kann nicht fallen noch kann sie verborgen bleiben.
TE 32
Von der Ablehnung
Kein Prophet wird in seinem Dorf akzeptiert.
Kein Arzt heilt seine Bekannten.
TE 31
Vom Urteilen über andere
Du siehst wohl den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken im eigenen Auge siehst du nicht.
Wenn du den Balken aus deinem eigenen Auge entfernst, dann wirst du deutlich genug sehen, um auch den Splitter aus dem Auge deines Bruders zu entfernen.
TE 26
Vom Zorn
Jesus besuchte den Tempel in Jerusalem. Als er die vielen umtriebigen Händler und Käufer sah, stieß er die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler um und jagte sie hinaus. ‚Mein Haus soll ein Haus des Gebetes sein‘ – so steht es in der Schrift. Ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus.
Nach Mt 21/12f
Was Bestand hat
Das Königreich gleicht einem Kaufmann, der eine Warenladung hat und eine Perle fand. Jener Kaufmann war klug: er verkaufte die Warenladung und kaufte sich einzig die Perle. Auch ihr, sucht den Schatz, der nicht vergeht, der besteht, wo keine Motte zum Fressen eindringt und wo kein Wurm zerstört.
TE 76
Vom Tod
Jesus sprach: Es war einmal ein reicher Mann, der hatte viel Besitz. Er sprach: ich werde mein Vermögen benutzen, um zu säen, zu ernten, zu pflanzen, meine Speicher mit Früchten zu füllen, auf dass mir nichts fehle. So waren seine Gedanken in seinem Herzen; und in dieser Nacht starb er. Wer Ohren hat, der höre.
TE 63
Vom Vertrauen
Jesus war mit seinen Schülern auf einem Boot auf dem See Genezareth, als ein Sturm aufkam. Die Wogen schlugen in das Boot. Er jedoch schlief seelenruhig im Heck des Bootes, bis die Schüler ihn wachrüttelten. Er stand auf, bedrohte das Meer und die Winde und kritisierte den Kleinglauben seiner Männer. Der Wind legte sich und es entstand eine große Stille.
Markus 4/35ff
'Der Sturm' aus dem Evangeliar der Äbtissin Hidta von Meschede (um 1020 n.Chr.)
Eigene Gedichte
Jesus von Nazareth
Ein junger Mann aus Nazareth
verlässt Familie, Haus und Bett
Er macht sich auf nach der Berufung,
und trifft Johannes, eine Ahnung,
dass eine Axt schon liegt am Baum
Für Sinneswandel ist noch Raum
Ansonsten bleibt nur wenig Zeit,
der jüngste Tag ist schon bereit
Er lässt sich taufen, wie geraten
und geht fortan auf seinen Pfaden
Er kündet an die letzte Zeit,
macht Andere dafür bereit
Er schaut und wandert, mahnt und predigt,
erkennt und weiß, er heilt und betet
Es sind viel wunderliche Sachen,
die ihn zu dem Messias machen
schon in den Augen seiner Zeit,
die gerne wäre ganz befreit
vom langen Arm des fernen Rom
So viele Opfer gab es schon
Doch musst' er sich den Mächt'gen beugen,
die Geistlichen, sie waren Zeugen
Gut dreißig Jahre zählt sein Leben,
da musste er es schon hingeben
Doch ein Gerechter uns erstand,
ein Gottessohn, Prophet, Heiland,
dem nichts dran lag, ihn zu verehren,
doch viel, die Liebe zu vermehren
Neue Zeit
Aus Nazareth, da kam ein Mann,
und eine neue Zeit begann,
entfachte Feuer in so vielen,
die hörten, glaubten, sahen, liebten
Das ‚Gottesreich‘, das sollte kommen -
doch was da kam, macht uns beklommen
Das Kreuz, das wurd‘ zum Siegeszeichen
Vor ihm, da musste alles weichen
So lang, so viel wurd‘ es missbraucht,
gemordet und die Erd‘ beraubt
Man pries den Herrn im Himmel droben,
doch tat man nicht, was er geboten
Zu dienen war er einst gekommen,
nicht zu bestätigen die Frommen
Er wirkte Wunder, heilte Kranke,
durchbrach so manche heil’ge Schranke
Soll aus dem Neuen noch was werden,
müsst‘ manche Gier, manch Anspruch sterben
Dann würde tief in uns was heilen –
wir könnten lieben, ruhen, teilen
Keltisches Kreuz auf einem schottischen Friedhof
© Joanna Zaleska 123RF
Braucht man im Christentum die Sünde und das Leid, um überhaupt etwas zu sagen zu haben?
Das Kreuz war eigentlich eine römische Holz-Konstruktion, um schwere Verbrecher öffentlich und abschreckend qualvoll zu töten. Es wurde durch das Schicksal Jesu zum zentralen Symbol des Christentums bis heute. Doch wegen dieser klaren Botschaft von Schmerz und Tod ist es bis heute auch ein Hindernis, eine wirklich lebensbejahende Frömmigkeit zu entwickeln. Ein qualvoll Sterbender ist keine Ermutigung zum Leben, auch kein Spiegel zur Selbsterkenntnis. Er ist vielmehr ein Anlass zu Trauer und Fragen nach der Schuld. So ist die bleibende Grundstimmung vieler Christen eben diese. Zentrales Ritual ist das Abendmahl: nicht wie damals als Essen und Trinken in der Gemeinschaft, sondern als Verinnerlichung des sündenvergebenden Christus.
Den Sünder hat Jesus nicht gebraucht. Er hat den neugierigen Oberzollbeamten und Ausbeuter Zachäus einfach besucht und mit ihm gegessen - ohne Vorwürfe und Moralpredigt. Dann ist dem selbst ein Licht aufgegangen, was er in seinem Beruf falsch gemacht hat und wie er es wiedergutmachen kann (Lk 19/8).
Das wird glücklicherweise auch kirchlicherseits heute wahrgenommen. Dennoch hat man noch längst nicht damit aufgehört, die Sündigkeit auf die Menschen zu projizieren, anstatt wir uns in Liebe als Wesen mit Licht und Schatten annehmen.
Ausschnitt aus dem grünen Christusfenster Chagalls im Frauenmünster in Zürich
Historie und Deutung
Die vorherrschende kirchliche Deutung des Todes Jesu als universeller Sühnetod steht in der archaischen Tradition des ‚Sündenbocks‘ von 3. Mose 16. Am großen Versöhnungstag wurden jedes Jahr in Israel zwei Ziegenböcke geschlachtet: einer für die Reinigung des Tempels mit seinem Blut; dem anderen wurde durch Handauflegung die Versündigungen der Menschen geistig übertragen, dann wurde er in die Wüste gejagt.
Jesus selbst hatte im letzten Pessachmahl Brot und Wein symbolisch genutzt, um sich von seinen Schülern zu verabschieden (Mk 14/22-24 mit Bezug auf 2. Mose 24/8, vielleicht auch auf Jes 53/1-6). Für ihn war sein absehbares unschuldiges Martyrium durchaus eine Hingabe – für seinen Schülerkreis, vielleicht auch darüber hinaus. Als universeller Sündenbock hat er sich sicher nicht gesehen, wohl aber als unschuldig Sterbender und von Gott Verlassener. "Eli, Eli, warum hast Du mich verlassen?" (Mk 15/34). Mit dem Klageschrei von Psalm 22/2 ist er wahrscheinlich in den Tod gegangen. Eine Theologie haben andere daraus gemacht.
Christlicher Geist
Einen Migranten
besuchen
Wer uns hasst, nicht verfluchen
Dem Kranken begegnen
Einen Lahmen bewegen
Vor dem eignen Haus kehren
Unwissende lehren
Moralismus vermeiden
Auch bereit sein zu leiden
Ein Kind zu achten
Die Wahrheit nicht pachten
Auf Reichtum verzichten
Das Dunkle mal lichten
Im Tiefsten vertrauen
Etwas Neues aufbauen
Selbst frei sein und leben
Mal Berge bewegen
Sein Licht nicht verbergen
Das Schwache stärken
Den Frieden bringen
Den Segen singen
Buchtipp