Tod und Auferstehung/Wiedergeburt
Man sah das Leben einmal als einen Faden, der auf kunstvolle Weise gesponnen wird – und irgendwann dann auch ans Ende kommt. Er liegt, so stelle man sich vor, in der Hand von drei Frauen. Die erste Frau sitzt an der Spindel und spinnt den Faden, die zweite schaut nach der Länge und Qualität, die dritte schneidet ihn zuletzt ab. Diese drei nannte man die Moiren (Parzen).
Die Nornen spinnen am Weltenrad © Voenix
Die Trinität, gemalt von Rublev
Im Christentum gibt es das männliche Äquivalent: der Vatergott, der uns erschuf, der Sohn, der uns erlöst und der Geist, der uns führt und heimbringt. Ob wir die hingebungsvolle Arbeit von drei Frauen betrachten oder das schaffende Zusammenwirken von Vater, Sohn und Geist: es ist ein Anfang, eine Entwicklung und ein Ende, das unser Leben ausmacht. Und die Hoffnung, dass der Faden noch einmal aufgenommen wird.
Olivenbaumgruppe © Barbara Dedié (mfE.)
Tod und Wiedergeburt
- eine Erinnerung an Frau Holle
Wenn das letzte Lied verklungen
Wenn das schöne Glas zersprungen
Wenn die Stunde hat geschlagen
Wenn's uns geht an jenen Kragen
Wenn die Lampe ist erloschen
Wenn die Vase jäh zerbrochen
Wenn der Baum ist mal gefallen
Wenn’s uns geht, wie vor uns allen
Geht’s durch jenen alten Brunnen
In den keiner gern gesprungen
Bis auf eine grüne Wiese
In die Welt, die nicht mehr diese
Geht's den Weg, der vorgezeichnet
Der schon lange Zeit bereitet
Führt zum Haus der großen Alten
Wo Naturgesetze walten
Dienen jenem großen Frieden
Der so selten war hienieden
Spür'n die Sehnsucht dann auch wieder
heimzukehr'n, hernieder
Gehen durch das güld'ne Tor
Und vergessen, was zuvor
Werden noch mal neu geboren
Und vielleicht in Lieb' erkoren
Dürfen wieder neu beginnen
Und das Lied von neuem singen
Und die Blume mag erblühen
Und die Glut von neuem glühen
Auf dem Tisch die neue Vase
In dem Schrank das neue Glase
Bäumchen wächst heran beizeiten
Die große Mutter wird es leiten
Die Baba Yaga
oder die Furchtlosigkeit angesichts des Todes
In der Mitte des Waldes:
ein seltsames Haus
Wer dieses erreicht,
den packt schon der Graus
Großmutter wohnt dort,
eine Frau mit viel Macht
mit ihren drei Reitern
Tag, Sonne und Nacht
Sie wohnt an der Schwelle
zwischen Leben und Tod
Kommst du an die Stelle,
fürcht' nicht, was da droht
Sie fliegt in dem Mörser,
verwischt ihre Spur
Sie gilt als ein Mörder,
doch hütet sie nur
Geburt und den Tod,
den Abend, den Morgen
Man bleibe hellwach
und lös‘ sich von Sorgen
Wassilissa, die Schöne,
sie konnt‘ ihr begegnen
Sie diente der Alten
und konnte bestehen
Bekam jenes Feuer,
das auslöscht, verbrennt
Ein ganz neues Leben
war ihr nun vergönnt
Die Ursprünge der Baba Yaga sind nicht ganz geklärt: sie kann auf eine slawische Göttin des Totenreiches zurückgehen oder auch auf die im ganzen Slawentum bekannte Waldfrau, die aber meistens jung war. Wie alle mythische Frauengestalten rutschte sie nach der Christianisierung ganz in den Schatten einer 'bösen', ja menschenfressenden Hexe ab. Hinweise, dass die drei Reiter Morgendämmerung, Morgenrot und Abend zu ihr gehören, weisen aber doch darauf hin, dass sie mit den Kräften der Natur direkt verbunden ist und sowohl schenken als auch nehmen kann. Wer aufrechten Herzens und freien Mutes zu ihr kam, den hat sie nie abgewiesen, wer aber zögerlich und ängstlich war, den konnte sie verschlingen.
Der Glasbläser
Er blies meist Gläser, auch mal Flaschen
für's Kinderspiel so kleine Sachen
Ein Meister war er seiner Kunst
Doch dann war all sein Werk umsonst
Sein Graf, der sperrte ihm die Wälder
Sein Ofen wurde immer kälter
Das Feuerholz, das ging ihm aus
und bitterkalt wurd's in dem Haus
Er konnt' fortan nichts mehr verdienen
Voll Kummer war'n im Haus die Mienen
Die Frau wurd' langsam stumm und matt
und die Kinder nicht mehr satt
Er wusste sich nicht mehr zu raten
Er nahm den Strick und einen Spaten
ging still in seinen nahen Wald
Doch da stand eine Feegestalt
"Was willst Du Hand nun an Dich legen?
Zu kostbar ist doch unser Leben!"
Sie wies ihn hin auf einen Stein
"Schau lieber dort und grab' hinein!
Dort lagert Brennstoff: das in Mengen
den kannst Du nutzen und verbrennen"
Die Elbin sprach es und verschwand
Er grub danach und was er fand
war alles, was sie hat versprochen
Und in nur drei, vier wen'gen Wochen
da war er wieder auf der Höh'
Und seiner Frau tat nichts mehr weh
Die Kinder hatten was zu essen
Die Not war beinah' schon vergessen
Der Ofen bullerte enorm
Das Glas nahm glutrot seine Form
Noch schöner leuchteten die Gläser
Der Graf sah sie, fand sie noch besser
Er kaufte fortan bei ihm ein
und trank daraus den guten Wein
Nach der Sage vom Glasmacher Heinrich Kunkel aus Wickenrode. Sie erzählt von der wundersamen Entdeckung der Braunkohle, die er in einer verzweifelten Lage fand. Ein Dachs hatte sie wohl nach oben befördert. Man dankte es dem Gott, hier der Holle, die auch als Baumfee erscheinen konnte.
Das liebe Kind war ihr gestorben
Die Mutter kam nicht mehr zur Ruh
Sie hatte schon den Mann verloren
und nun ihr einzig Kind dazu
Die Tränen war’n ihr ausgegangen
Der Schmerz, er wollte nicht mehr geh’n
In tiefer Nacht ging sie ins Freie
Der Mond, der konnte sie versteh‘n
Die Schönheit des verschneiten Landes
Sie konnte sie nicht einmal seh’n
Doch plötzlich sangen da ganz leise
viel Kinderstimmen wunderschön
Frau Perchta war’s mit ihren Heimchen
Sie strebten grad dem Walde zu
Das letzte Kind konnt‘ kaum noch gehen
Es schleppte einen schweren Krug
Sie half ihm vor der großen Hecke
Erkannte jäh ihr eigen Kind
Es schleppte ihre ganzen Tränen
Mit nassem Hemd sprach's noch geschwind:
‚Ach liebe Mutter, lass mich gehen!
Die Große Mutter hat viel Raum!‘ -
Sie küsste es noch unter Tränen
Und half ihm über jenen Zaun
Nach einem deutschen Volksmärchen zu Frau Perchta, einer Parallelgestalt zur Frau Holle, die in Süddeutschland und Österreich verbreitet war und mit den Seelen der verstorbenen Kinder unterwegs war
Wenn meine Kräfte geh‘n zurück
Wenn meine Hände ruh’n
Dann habe ich es doch geschafft
So weint nicht mehr um mich
Gönnt‘ mir die Ruh nach allen Müh’n
Mein Leben ist vollbracht
In Segen sei es eingehüllt
Ich musste weiterzieh‘n
In dem Garten der Frau Holle
standen Apfelbäume kahl
Niemand konnte etwas machen
Das war keineswegs normal!
Drunten wohnte eine Alte,
d e r geriet ihr Garten wohl
Jeder sah und jeder staunte
über Blumen, Sträucher, Kohl
Holle rief zu sich den Liebsten.
Junker Tod ritt schnell hinab,
klopfte an der Tür der Alten
"Gute Frau, ich hol Dich ab!"
"Habe aber eine Bitte,
die doch freundlich mir gewähr:
lass uns Karten spielen! Der Verlierer
darf entscheiden nach Begehr!"
Sie war deutlich überlegen
wie es immer klarer schien,
spielte sie doch mit den Knechten
und - gewann die drei Partien
Junker Tod, er musste passen,
ritt beschämt zur Frau zurück
Diese zürnte ihm bedenklich
Da probierte er sein Glück,
ritt in den geweihten Nächten
zu ihr mit dem Angebot:
"Du sollst Himmelsgärten pflegen.
willst Du n i c h t, hat's keine Not,
bring Dich unversehrt zurück,
kannst Dein Leben weiterführ'n.
Wenn Du magst, kannst Du auch bleiben
und dich drüben verlustier'n!"
Sprach sie: "ja, ich will Dir folgen!",
kam ans Tor und sah hinein
Sprang als hübsches junges Mädchen
frohen Herzens in den Hain
Nach einem Märchen, überliefert durch S. Früh